Ich bi ufem Land uifgwachsä. Det, wo jedä de ander kennd. S’letschtä Jahr hani aber i dä grossä Stadt, z’Ziiri gschaffed. Es isch ä Liäbesgschicht entstandä mid Hechänä und Tiefänä.
Hallo Zürich, wir müssen reden.
Früher, da warst du immer die ferne Stadt. Doch dann wurde unsere Beziehung plötzlich sehr intensiv. Im März 2016 begann ich bei watson zu arbeiten. «What’s on?» fragten mich damals meine heimatlichen Kollegen in Obwalden. «Ich gehe die grosse Welt entdecken», antwortete ich oft mit einem Augenzwinkern.
Also, los! Ich nehme die gar nicht mal so lange ewig lange Zugfahrt von Alpnach an die Hardbrücke in Angriff. 90 Minuten später komme ich an. Irgendwo zwischen einem Wolkenkratzer und einer riesigen Baustelle fühle ich mich bei dir wie das Porzellan im Laden, in dem sich der Elefant rumtreibt. Sauber geputzt und hübsch, aber auch klein und zerbrechlich.
Das bist du jetzt also. Ich bin froh, erinnere ich mich dank meinem Vorstellungsgespräch noch an den Weg zum watson-Büro. Es sieht nach einem ganz normalen Büro aus. Viele Computer, Zeitungen, Notizblätter und nette Menschen. Deine Menschen hier sehen zwar oft etwas tätowierter, etwas hipstiger, etwas zürimässig aus – aber sie sind nett. Zumindest so lange, bis sie herausfinden wo du wohnst.
«Hoi, du bisch doch de neui Sport-Praktikant oder?»
«Ja genau.»
«Freut mich. Vo wo chunnsch dänn?»
«Ich wohne z'Alpnach, im Kanton Obwalde. Kennsch?»
«Ja, heds det scho flüssend Wasser? Bisch du än Buur?»
«Ehm, ja. Ehm, nei.»
Solche Sprüche begleiteten mich das ganze Jahr über. Der Running Gag: «Ah du bist aus Nidwalden? Ist doch das gleiche oder? Hihi …» Das prasselt an mir ab, genau wie all die Anschuldigungen als Verräter der Nidwaldner anno 1798.
Aber zurück zu unserer Liebe, Zürich. Die ersten Monate waren ganz aufregend. Alles war neu, und weil auch das eigentlich blöde, wie die Baustellen, der stressige Bahnhof oder die 5 Franken mehr für einen Kebab neu waren, war es eben doch nicht so blöd. Doch irgendwann wird aus neu Alltag, und dann fing ich an, mich über deine Macken zu ärgern. Während in Alpnach am Morgen nur harmonisches Kuhgebimmel und das Rauschen des Dorfbachs zu hören ist, fährt bei dir schon um 6 Uhr früh der ewiglange Güterzug zur Mühle durch die Strassen bei der Hardbrücke und quietscht ohrenbetäubend.
Wenn ich am Wochenende arbeiten musste, dann sah es bei der Hardbrücke aus, wie wenn ein Wirbelsturm die Inhalte aller Abfalleimer auf die Strassen gefegt hätte. Die Spuren der nächtlichen Party waren unübersehbar.
Nach dem aufregenden Neuen und dem nervigen Alltag folgte die Gleichgültigkeit. Es kam mir bald vor, als führten wir nur noch eine Zweckehe. Vielleicht solltest du zur Auflockerung auch mal bei mir in Alpnach vorbeikommen, es ist echt schön da. Das sagen sogar Zürcher. Glaubst du nicht?
Eine repräsentative, watson-interne Umfrage mit dem Titel «Du denkst bei Obwalden an …» hat ergeben:
- die Panoramastrasse
- die hübsche Landschaft
- die Älggi-Alp, geografischer Mittelpunkt der Schweiz
- den Pilatus
- Engelberg
- die wunderschöne Melchsee-Frutt
- die feinen Würstchen und den feinen Käse
- die vielen Kühe
Mir fällt sofort auf: All diese Sachen sind insgeheim Dinge, welche die Befragten bei dir vermissen – verständlich. Aber lasst mich der Reihe nach gehen. Der Bildervergleich zeigt, dass man bei dir eine Strasse wie die Panoramastrasse von Giswil hinauf zur Mörlialp vermisst. Die «hübsche Landschaft» wäre damit auch grad bewiesen.
Kommen wir zum Herzstück der Schweiz. Nein nicht die Hauptstadt, nicht der wichtigste Wirtschaftsstandort, sondern der geografische Mittelpunkt der Schweiz. Bei dir suchen alle ihre Mitte mit Yogakursen oder Pilates, wir in Obwalden müssen nur auf’s Älggi pilgern. Apropos Pilates, das heisst bei uns Pilatus – merk dir das, sonst holt dich der Drache.
Neben Drachen haben wir aber auch Engel bei uns. Genauer gesagt in unserer Exklave in mitten des Nidwaldner Hoheitsgebiet, in Engelberg. Das beschauliche Bergdorf wurde in der Umfrage besonders oft genannt. Es scheint als kennen einige die Obwaldner Gemeinde mit Kloster, Skisprung-Schanze und dem Titlis besser als ich selbst – ach, diese Touristen immer!
Dabei haben wir doch auch noch die Melchsee-Frutt, und ja, da gibt es köstliche Spezialitäten für den kleinen und grossen Hunger. Der Geheimtipp ist der Obwalnder Braatchääs, gemacht aus feinster Kuhmilch. Übrigens: Kühe, die gibt’s bei uns noch im Überfluss auf saftigen grünen Wiesen zu bestaunen. «Oder bim Alpabzug, kennsch?».
Na gut, alle Rückmeldungen waren dann schon nicht positiv. Ein einsamer Krieger deines Stammes liess mich wissen:
«Die haben eine Scheiss-Internetseite, um ihre Abstimmungsresultate zu veröffentlichen an den Abstimmungstagen. Hilft das?»
Sorry dafür, wird sind eben da noch nicht sooo fortgeschritten, aber ich werde es am Stammtisch im Restaurant Sonne mal in die Runde werfen.
Weisst du, mein gehasstes geliebtes Zürich: Ich mag dich trotz all diesen blöden Dingen, aber Zuhause ist eben Zuhause. Danke für dieses intensive Jahr. Züri, du bist nett, aber eben nicht die ganze Welt. Darum ziehe ich weiter. Tschüss!