Lorenzo Bucchi kümmert sich als Goalietrainer beim FC Luzern um Marius Müller und David Zibung – und um die Nachwuchs-Talente. Der Italiener hat in Luzern mit seiner Familie eine zweite Heimat gefunden.
«Mit dieser Aktion können wir das Training nicht beenden», sagt Lorenzo Bucchi, läuft nochmals an, spielt den Ball zur Mitte. Im Gegensatz zum vorherigen Versuch fängt Raphael Radtke den Ball sicher. «Bravo!», ruft Bucchi und beendet die Trainingseinheit auf dem Rasen neben der Swissporarena. Eine Viertelstunde später kommt der 37-jährige Italiener zum Fototermin und anschliessend zum Interview auf der Medientribüne des Stadions.

Bild: Manuela Jans-Koch (Luzern, 11. März 2021)
Vorhin auf dem Trainingsplatz waren Sie beim Training mit David Zibung und den beiden jungen Goalies Loïc Jacot und Raphael Radtke. Wieso war Marius Müller nicht dabei?
Lorenzo Bucchi: Ja, den Mülli (meint Marius Müller), den habe ich die letzten Wochen eigentlich nur an den Spielen gesehen. Wir scherzten auch darüber und sagten jeweils nach dem Spiel: Wir sehen uns am nächsten Spieltag. Im Ernst: Ich hatte die letzten Wochen, als wir jeden dritten Tag ein Spiel absolvierten, keine Möglichkeit, konkret mit ihm zu arbeiten oder die Spiele lange zu analysieren. Ich unterstützte ihn im mentalen Bereich. Bei so vielen Spielen in so kurzer Zeit, da erholt er sich vom Spiel und dann ist schon wieder Abschlusstraining.
Wie beschreiben Sie die Arbeit mit Marius Müller und David Zibung?
Mit Mülli und Dave (meint Zibung) habe ich ein grosses Glück. Ich bin ein Typ, für den die familiäre Atmosphäre, das Vertrauen, die Liebe wichtig ist. Wir Goalies sind eine sehr eng verbundene Gruppe, da müssen diese Faktoren stimmen. Das ist ein Teil meiner Philosophie und ich glaube, es ist auch der Grundstein für Erfolg.
Dieses Glück, können Sie das noch etwas genauer beschreiben?
Die beiden harmonieren sehr gut. Mülli hört Dave zu und akzeptiert die Inputs. Dave hat viel Erfahrung, was er sagt, ist fast immer richtig. Also Dave und Mülli haben es gut, Mülli und ich haben es gut und Dave und ich, ja das ist fantastisch. Dank ihm erhalte ich immer viel Feedback von der anderen Seite, der Spielerseite. Er hilft mir zum Beispiel sehr bei der Spielanalyse. Der Austausch ist immer da, gleichzeitig geht der Respekt nicht verloren – das war auch ein Signal für Mülli.
Wie meinen Sie das?
Er ist als stolzer Deutscher von Leipzig nach Luzern gekommen. Hier traf er auf mich: Einen Goalietrainer, der seinen italienischen Stil pflegt. Das war komplett anders als das, was er in Deutschland erlebt hat. Am Anfang dachte Mülli wohl: Was macht dieser Italiener hier mit mir? In dieser Zeit war die Hilfe von Dave entscheidend. Mülli hat gesehen, das Dave meine Arbeit respektiert und die Zusammenarbeit funktioniert. Das war der Schlüssel für die gute Beziehung zwischen Mülli und mir.
Sie platzieren sich während den Spielen auf der Medientribüne und verfolgen das Geschehen auf dem Rasen emotional, gestikulierend, kommunizierend. Was ist ihre Aufgabe während dem Spiel?
Mein Job ist es, den Goalie zu unterstützen. Mülli hat während dem Spiel gerne kleine Feedbacks. Ich stehe ihm zur Verfügung und wenn er das braucht, dann mache ich das. Es funktionierte übrigens auch schon, als noch Zuschauer im Stadion waren – mit Zeichen und Blickkontakt. Momentan ist es einfacher, weil wir praktisch miteinander reden können.
Wieso machen Sie das von der Tribüne aus und sitzen nicht auf der Ersatzbank?
Das war damals eine Entscheidung von Trainer Thomas Häberli. Er wollte in der Pause ein Feedback von einer Person, die das Spiel von einer anderen Perspektive sieht. Fabio Celestini will, dass ich speziell auf die Standardsituationen schaue.
Wie gingen Sie damit um, das Spiel nicht mehr von der Bank aus verfolgen zu können?
Die Entscheidung von Thomas Häberli hat mich am Anfang gestört. Ich bin ein emotionaler Typ, auf der Bank war mit mir immer etwas los. Ich war der Albtraum der Schiedsrichter (lacht). Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass ich von hier oben viel besser beobachten und coachen kann. Ich könnte auch zurück auf die Bank, aber mittlerweile fühle ich mich auf der Medientribüne sehr wohl.

Bild: Manuela Jans-Koch (Luzern, 11. März 2021)
Nach dem Pausenpfiff gehen Sie immer direkt auf den Rasen zu Müller. Was wird da besprochen?
Das kann ich doch nicht sagen (lacht).
Geht’s da direkt um Situationen des Spiels oder ist es mehr lockerer Talk?
Meistens besprechen wir auf dem Weg in die Kabine nicht konkrete Spielsituationen. Zuerst soll er selber verarbeiten, durchschnaufen. Manchmal spreche ich mit ihm, aber er hört mir gar nicht zu, weil er noch so fokussiert ist. In der Kabine, sobald Mülli mental bereit dafür ist, schauen wir ein paar Situationen an. Klar ist: Es gibt immer einen kurzen Kontakt zwischen uns, das ist meine Art. Ich will ihm zeigen, dass ich da bin.
Wie schätzen Sie die sportliche Entwicklung von Marius Müller ein?
Er hat sich positiv entwickelt. Sein Spiel mit den Füssen hat er verbessert, was gerade für die Philosophie von Celestini sehr wichtig ist. Zudem kann er die Spielsituationen gut einschätzen, er weiss, was passieren wird. Er kennt die Entscheidungen, die er treffen kann. Es ist dann seine Aufgabe, die richtige Entscheidung auszuwählen – das macht er momentan sehr gut.

Bild: Urs Flüeler / Keystone
Hin und wieder macht Marius Müller den Eindruck, dass er sich nicht 100 Prozent auf seine Arbeit konzentriert – sich mit Nebenschauplätzen beschäftigt. War das ein Thema, das Sie mit ihm angeschaut haben?
Er ist ein emotionaler Typ. Mülli hat die Tendenz, das er überall involviert sein will, auch in Momenten, wo er nicht involviert sein muss. Dadurch verliert er manchmal den Fokus und auch Energie. Er musste lernen und muss weiterhin lernen, zu verstehen, wann ihn etwas interessieren muss und wann nicht. Für einen Torhüter ist der mentale Aspekt sehr wichtig. Wenn du den Fokus verlierst und unnötig Energie vergeudest ist das ein Problem. Klar habe ich das mit ihm angeschaut, aber es ist auch ein Teil seiner Persönlichkeit. Manchmal ist es seine Stärke, manchmal seine Schwäche – er muss die Balance finden.
Sie trainieren einmal in der Woche die jungen Goalie-Talente der Zentralschweiz. Wie wichtig ist Ihnen das?
Lassen Sie es mich so beschreiben: Profifussball ist wie eine Droge. Es tut auch mal weh, es ist viel Druck da. Liefere ich schlechte Arbeit, bin ich meinen Job los. Gewinnen wir, ist das ein Gefühl, das kann ich nicht beschreiben. Mit den Profis wie Mülli oder Zibung führe ich Gespräche auf Augenhöhe, sie sind erwachsene Personen. Die jungen Talente, die schauen zu mir auf, die machen genau das, was ich ihnen sage. Ich bin für sie der Lehrer, nicht der Trainer. Sie lernen sehr schnell und das ist schön zu sehen. Diese Befriedigung, wenn ich die Entwicklung der jungen Fussballer sehe, diese Befriedigung bekomme ich bei den Profis nicht.
Können Sie das noch etwas genauer erklären?
Das Training mit der ersten Mannschaft ist fantastisch. Aber es ist immer ein Stressgefühl mit dabei. Am Donnerstag, wenn ich die jungen Talente trainiere, ist es einfach auch lustig. Das Gefühl nach diesem Training ist mein bestes Gefühl der ganzen Woche. Gleichzeitig will ich aber nie die 1. Mannschaft missen, wie gesagt, es ist eine Droge.
Was können Sie zur Qualität der Zentralschweizer Nachwuchs-Goalies sagen?
Es gibt interessante Goalies, die mit mir trainieren. Es ist aber noch zu früh, um Prognosen zu machen. Entscheidend ist das Alter zwischen 16 und 20. Das Beispiel Jonas Omlin zeigt das gut: Er war bei Kriens, dann bei Le Mont und startete danach durch. Die Goalieausbildung beim FCL funktioniert. Gabriel Wüthrich, Koordinator Torhüter Abteilung Nachwuchs, macht einen super Job und das hilft auch mir.
Der junge Torhüter Loïc Jacot (21) kam im Winter zurück aus Chiasso von einer Ausleihe. Was waren die Überlegungen bei dieser Rückkehr?
Loïc hatte Probleme mit dem Umfeld in Chiasso – das Kader ist gross, es gab einen Trainerwechsel. Die Realität ist aber auch, dass seine Leistungen nicht gut genug waren. Er fand keine Kontinuität in seiner Leistung. Darum haben wir ihn zurückgeholt. Er soll hier Selbstvertrauen gewinnen und sein gutes Niveau wieder finden. Für die Zukunft ist wichtig, dass er Spielpraxis bekommt.
Der Zuger Simon Enzler (23) ist an den FC Aarau ausgeliehen um Spielpraxis zu sammeln. Wie geht es ihm?
Simon entwickelt sich gut in Aarau. Ich schaue mir seine Spiele an, wenn es vom Terminkalender her geht und meine Frau das OK gibt (lacht). In Kriens war ich zweimal vor Ort, als er mit Aarau zu Gast war, und ein Spiel habe ich mir in Aarau angeschaut. Ich bin regelmässig mit ihm und seinem Goalietrainer im Kontakt.about:blankhttps://acdn.adnxs.com/dmp/async_usersync.html
Gibt es schon einen Plan mit Enzler für die kommende Saison oder die weitere Zukunft?
Aktuell kann ich dazu noch nichts sagen.
Wie sehen ihre Pläne für die Zukunft aus?
Wenn AS Roma anfragen würde, dann würde ich mir einen Wechsel überlegen (schmunzelt). Ich fühle mich in Luzern sehr wohl, hier ist meine zweite Heimat zusammen mit meiner Frau und den zwei Kindern. Ich wohne schon sieben Jahre hier. Mein Ziel ist es, sicher noch 10 Jahre als Goalietrainer zu arbeiten, sofern es mein Körper zulässt.

Sie müssen also körperlich fit sein für ihre Arbeit als Goalietrainer?
Ja, so wie ich den Job interpretiere schon. Mein Anspruch ist es, das Training mitzumachen, zu schiessen und zu flanken. Das Training hält mich automatisch fit. Ich mache aber auch noch Einheiten nebenbei, damit ich körperlich auf der Höhe bleibe.