Joël Keller beim FC St.Pauli: «Wahnsinn, was man hier erlebt»

Im Abstiegsstrudel der 2. Bundesliga mischt mit Joël Keller vom FC St.Pauli ein Schweizer mit. Der junge Familienvater und ehemalige Junior des FC Basel über sein Leben in Hamburg, den Kult des «Kiezklubs» und sein grosses Ziel: die Bundesliga.

Die Liste von Schweizer Fussballern in der Bundesliga ist lang. Namen wie Yann Sommer, Roman Bürki, Marwin Hitz, Ricardo Rodriguez, Admir Mehmedi oder Josip Drmic sind in Deutschlands höchster Spielklasse längst etabliert. Das Ziel, in der höchsten deutschen Fussball-Liga zu spielen, hat auch Joël Keller. Der 21-Jährige aus Gunzgen SO durchlief die Juniorenabteilung des FC Basel, ehe er im Sommer 2014 den Sprung ins Ausland wagte. 

Über die zweite Mannschaft von Nürnberg ist er beim Hamburger Kultklub St.Pauli angekommen – er ist jetzt ein «Kiezkicker». Auch privat hat der Schweizer schon viel erlebt: Im letzten Sommer sass er für zwei Wochen im Jugendarrest und wenige Wochen später wurde er im zarten Alter von 21 Jahren Vater. Zusammen mit seiner Freundin Maike und Töchterchen Sofia lebt er in Hamburg und spielt im legendären Millerntor-Stadion. 

Joël Keller mit den Verantwortlichen beim FC St.Pauli.

Nach einer starken letzten Saison musste St.Pauli in dieser Vorrunde schwer unten durch. In der Rückrunde heisst es darum Abstiegskampf pur rund um St.Pauli. Trotzdem wurde bei der etwas erschwerten Aushandlung des Interviewtermins klar: In Deutschland, auch schon in der 2. Bundesliga, läuft alles strukturierter, etwas professioneller. Kam noch dazu, dass Joël Keller in den letzten Wochen krank war und sich jetzt noch mit einer Verletzung am Oberschenkel rumschlägt. Es hat dann aber doch noch für ein Gespräch mit dem ehemaligen Basler Junior geklappt.

Joël, du warst zuletzt krank und hast darum den Rückrundenstart mit St.Pauli verpasst. Wie geht es dir jetzt?
Joël Keller: Die Krankheit habe ich überstanden, doch dann verspürte ich im Aufbautraining ein Zwicken im Oberschenkel. Jetzt bin ich noch in der Reha-Phase und werde hoffentlich in den nächsten Tagen das Training mit der 1. Mannschaft wieder aufnehmen.

Zum Ende der Vorrunde hattest du einen Stammplatz. Wie schätzt du deine Chance ein, diesen wieder zu erreichen? 
Aktuell spielt die Mannschaft sehr erfolgreich und der Trainer hat keinen Grund, etwas zu wechseln. Wenn ich fit bin, gebe ich im Training 100 Prozent und hoffe, dass ich irgendwann meine Chance bekomme. Vor der Winterpause hat mir der Trainer das Vertrauen gegeben und ich machte meine Sache nicht schlecht – das ist schon mal ein gute Voraussetzung.

Du hast im Jahr 2014 von der U23 des FC Basel nach Deutschland, zum 1.FC Nürnberg, gewechselt. Wie kam es zu diesem Wechsel?
Ich habe damals schon gesagt, dass ich gerne einmal nach Deutschland wechseln möchte. Die Nürnberger haben mich während den Spielen mit Basels U23 in der UEFA Youth League beobachtet und anschliessend grosses Interesse bekundet. Nach guten Gesprächen habe ich mich entschlossen, den Schritt ins Ausland zu wagen. 

Gab es vorher schon einen Kontakt zu Nürnberg oder kam die Anfrage aus heiterem Himmel?
Nein, es gab noch keinen Kontakt und ich war im ersten Moment doch sehr überrascht über die Anfrage.

Hast du deine Entscheidung schon einmal bereut?
Nein, gar nicht. Ich kann heute sagen, es war eine top Entscheidung. Bei Basel gelang mir der Sprung in die 1. Mannschaft nicht, nun habe ich in Deutschland bereits meine ersten Profispiele in der 2. Bundesliga auf dem Buckel. Ich konnte mich gut weiterentwickeln und auch mal einen anderen Fussball kennenlernen.

Mit den Jugendmannschaften des FC Basel feierte Joël Keller (hinter dem Pokal, fast neben FCB-Mäzenin Gigi Oeri) einige Erfolge. Hier das Foto mit der U16 als Schweizermeister und Cupsieger.

Was sind denn die Unterschiede zum Fussball in der Schweiz?
In der Schweiz wird mehr Wert auf die Technik gelegt, währenddem hier in Deutschland etwas aggressiver und physischer gespielt wird.​

Seit Sommer 2015 bist du nun in Hamburg beim sogenannten «Kiezklub» St.Pauli – der Verein hat eine grosse Tradition. Wie erlebst du das? 
Bisher habe ich viele grossartige Eindrücke hier erlebt. Es ist Wahnsinn, was man mit den Fans zusammen im Stadion erlebt – jedes Heimspiel in diesem Stadion ist etwas ganz Besonderes. Es herrscht eine positive Stimmung im ganzen Verein, das macht alles etwas einfacher.

Was ist denn so anders als bei anderen Vereinen?
Es ist alles sehr familiär, wenn ich das mit Basel vergleiche. Da war die Trennung zwischen der 1. und der 2. Mannschaft viel klarer. Hier ist alles näher zusammen, man kennt sich untereinander und das ist etwas Schönes. Auch die Fankultur ist super: Die Zuschauer verlassen selbst nach einer Niederlage nicht möglichst schnell das Stadion, sondern stehen geschlossen hinter dem Team.

Hast du dich früher schon für den Klub interessiert?
Ja, ich kann mich zum Beispiel noch erinnern, dass St.Pauli immer wieder mit speziellen Torjubeln auf sich aufmerksam machte und Torhüter Klaus Thomforde feierte Paraden jeweils, als hätte er einen Treffer erzielt – der Klub war dadurch in der Schweiz durchaus bekannt.

Hamburg hat ja noch mehr zu bieten als nur Fussball. Geht ihr nach einem Sieg noch zur Reeperbahn feiern?
(lacht) Nein, nicht wirklich. Ich bin eher der ruhigere Typ und bin nach einem Sieg auch lieber mal zuhause und geniesse. Hamburg ist aber wirklich eine schöne Stadt. Ich sage zwar immer, die Schweiz ist auch toll, aber das hier kann gut dagegenhalten.

Du bist also wenig im Ausgang?
Wenn ich mal unterwegs bin, dann zusammen mit meiner Freundin. Aber eher gemütlich, mal etwas zusammen essen gehen. So richtig viel von Hamburgs Nachtleben habe ich eigentlich noch nicht gesehen. 

Du bist seit einigen Monaten Vater einer Tochter. Klappt das gut so als junger Familienvater und Fussballprofi zugleich?
Es läuft sehr gut. Ich wohne mit meiner Freundin zusammen und wir ergänzen uns gut, wir sind ein super Team. Sie macht sehr viel zuhause und so kann ich mich auch mal etwas mehr auf den Fussball konzentrieren.

Es hat sich also nicht viel verändert?
Nein, bis jetzt noch nicht (lacht). Ausser, dass ich ab und zu mal etwas früher wach bin als sonst.

Es lief privat aber nicht immer so rund: Im letzten Sommer warst du für zwei Wochen im Jugendarrest. Was kannst du davon erzählen?
Die ganze Sache ist für mich und den Verein eigentlich abgeschlossen. Ich will darum auch gar nichts dazu sagen.

Aber die Zeit hat dich doch bestimmt geprägt?
Ja, klar. Was ich sagen kann, ist: Jeder, der mal da war, will bestimmt nie mehr wieder dahin. 

Wir blicken doch noch einmal in deine Vergangenheit. Du hast in Basels U23 auch mit Breel Embolo gespielt. Er wurde mit 18 Schweizer A-Natispieler und hat den Sprung zu Schalke in die Bundesliga geschafft. Seid ihr noch im Kontakt?
Nein, direkten Kontakt gibt es nicht mehr. Aber ich verfolge seine Entwicklung und hoffe für ihn, dass er nach der Verletzung wieder stark zurückkommt. Ich bin sehr stolz auf ihn, er hat schon viel erreicht.

Ist er für dich ein Vorbild?
Sein Weg ist sicher sehr beeindruckend und jeder junge Schweizer Spieler sollte auf ihn schauen und ihn als Vorbild sehen. 

Hast du denn zu anderen früheren Weggefährten aus der Schweiz noch regelmässigen Kontakt?
Ja, zum Beispiel mit Samuele Campo von Lausanne. Er hat ebenfalls mit mir in der U23 von Basel gespielt. Mit einigen anderen Spielern besteht auch immer noch eine WhatsApp-Gruppe (lacht).

Joël Keller im Training beim FC St. Pauli.

Der FC Basel bleibt für dich ein spezieller Verein. Du würdest doch sicher gerne mal für Rot-Blau im «Joggeli» spielen?
Das wäre sicher schön. Wir werden sehen, was alles in der Zukunft noch auf mich zu kommt. 

Schaust du auf die Spiele und Entwicklungen beim FCB? 
Mit einem Auge schaue ich immer wieder auf den FC Basel. Meine Familie wohnt ja auch in der Schweiz. Mein Bruder ist ein sehr grosser Basel-Fan, er erzählt mir jedes Wochenende vom FCB. 

Zurück zu St.Pauli, da dürften die Erzählungen aktuell weniger rosig sein als vom unangefochtenen Titelrennen in der Schweiz. Die Realität heisst momentan Abstiegskampf. Aber die Erwartungen sind eigentlich höher, oder?
Ganz klar. Wir haben auch letzte Saison gezeigt, was wir draufhaben (4. Platz in der 2. Bundesliga). Nun war eben die Vorrunde nicht so gut und wir müssen jetzt alle zusammen für den Klassenerhalt arbeiten. Nächste Saison greifen wir dann wieder oben an. 

Was sind deine Ziele für die Zukunft?
Ich möchte in der Rückrunde noch ein paar Spiele absolvieren. Mittelfristig ist mein Ziel die Bundesliga, doch bis dahin will ich bei St.Pauli Vollgas geben.

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